Frühgeburtlichkeit ist ein globales Problem.
Chancenungleichheit in der ersten Lebensphase.
Laut der WHO kommen weltweit jährlich schätzungsweise ca. 15 Millionen Kinder zu früh auf die Welt. Frühgeburtlichkeit ist damit ein globales Problem: In allen Ländern der Welt liegt die Rate der Frühgeburten zwischen 5–18 % aller geborenen Kinder. Die Mehrheit der Frühgeburten findet in Afrika und Südasien statt1. In Deutschland werden jährlich ca. 60.000 Kinder zu früh geboren, damit ist ca. jedes 11. Kind betroffen und ein sogenanntes „Frühchen“. Demnach sind Frühgeborene die größte Kinderpatientengruppe in der Bundesrepublik2.
Je unreifer ein Kind bei seiner vorzeitigen Geburt ist, desto größer sind die Risiken für Komplikationen und sein gesundes Überleben. Die Frühgeburtlichkeit kann viele verschiedene Ursachen haben, wie z. B. Infektionen, Mehrlingsschwangerschaften, chronische Erkrankungen der Mutter oder Komplikationen in der Schwangerschaft wie z. B. Diabetes oder Bluthochdruck. Oft kann jedoch auch keine genaue Ursache identifiziert werden. Komplikationen rund um die Frühgeburtlichkeit sind die häufigste Todesursache bei Kindern unter 5 Jahren und verantwortlich für etwa eine Million Todesfälle im Jahr 20154.
Die Überlebensraten schwanken weltweit sehr stark.
Es gibt einen dramatischen Unterschied im Überleben von Frühgeborenen, je nachdem wo sie geboren werden: Beispielsweise sterben mehr als 90 % der Frühgeborenen, die vor der 28. SSW in Ländern mit niedrigem Einkommen zur Welt kommen, innerhalb der ersten Lebenstage; wohingegen weniger als 10 % dieser Kinder in einkommensstarken Regionen versterben.
Mangel an günstiger (Erst-)Versorgung.
Die Ursachen der hohen Sterblichkeitsraten in einkommensschwachen Ländern sind ein Mangel an praktikabler, kostengünstiger (Erst-)Versorgung wie Wärmezufuhr/Wärmemanagement, Stillunterstützung, Basisversorgung von Infektionen und Atemproblemen sowie fehlender Atemunterstützung. In Ländern mit hohem Einkommen überleben fast alle Kinder, die nach 32 Schwangerschaftswochen zur Welt kommen. Der suboptimale Einsatz von Technologien in Ländern mittleren Einkommens verursacht eine hohe Belastung durch Behinderung bei frühgeborenen Kindern, die die Neugeborenenperiode überleben.
Hautkontakt und CPAP zur Unterstützung.
Neben der Vermeidung von bekannten Faktoren, die zu Frühgeburtlichkeit führen können, sowie Therapiemöglichkeiten vor der drohenden Frühgeburt (z. B. Steroidtherapie der Mutter zur Lungenreifung des Kindes oder die Wehenhemmung) hat die WHO im November 2022 neue Empfehlungen zur Versorgung von Frühgeborenen veröffentlicht: Diese spiegeln neue Erkenntnisse wider, dass einfache Interventionen wie die Känguru-Pflege durch die Mütter unmittelbar nach der Geburt, der frühzeitige Beginn des Stillens, die Verwendung von kontinuierlichem positivem Atemwegsdruck (CPAP) und Medikamenten wie Koffein bei Atemproblemen die Mortalität bei Frühgeborenen und Babys mit niedrigem Geburtsgewicht erheblich senken können.
Allgemein sollen Frühgeborene mit einem zu erwartenden Geburtsgewicht von unter 1.500 Gramm (unabhängig von der Schwangerschaftswoche) aufgrund von entsprechenden Vorgaben in spezialisierten Behandlungszentren, den sogenannten Perinatalzentren, versorgt werden5, 6. Vor allem die extrem frühgeborenen Kinder an der Grenze zur Lebensfähigkeit sind auf kompetente und erfahrene intensivmedizinische und -pflegerische Versorgung angewiesen7. Diese Zentren sind mit entsprechend speziellem Equipment und fachlich ausgebildetem Personal ausgestattet: Hier erfolgt somit eine adäquate (in der Regel intensivmedizinische) Behandlung der Frühgeborenen, welche die entsprechende Therapie von möglichen Komplikationen durch die besondere Unreife gewährleistet. Als Beispiel: 2020 waren es in Deutschland knapp 10.000 Kinder, die mit einem Geburtsgewicht von unter 1.500 Gramm in diesen spezialisierten Zentren versorgt werden mussten8.
Kinder sind keine kleinen Erwachsenen.
Lebenslange Folgen möglich.
Klassische Probleme der Frühgeburtlichkeit betreffen fast alle Organe aufgrund ihrer Unreife: z. B. das Atemnotsyndrom (ANS), die Bronchopulmonale Dysplasie (BPD), die Nekrotisierende Enterokolitis (NEC), die Netzhautschädigung (ROP) und nicht zuletzt die Hirnblutungen (IVH), um nur einige zu nennen. Dabei gilt generell, wie bereits erwähnt: je geringer das Geburtsgewicht und je kürzer die Schwangerschaft, umso höher das Risiko für Komplikationen9. Viele der überlebenden Kinder leiden lebenslang unter den Folgen der Komplikationen der Frühgeburtlichkeit mit Behinderung, einschließlich Lernbehinderung sowie Seh- und Hörproblemen. Die Frühgeburtlichkeit ist eben doch kein so seltenes Ereignis, wie so mancher denken mag, und nicht nur aufgrund der potenziellen langfristigen Folgen auch gesamtgesellschaftlich relevant.
Um auf dieses globale Problem aufmerksam zu machen, findet seit 2008 jährlich am 17. November der sogenannte „World Prematurity Day“, also der „Weltfrühgeborenentag“, statt. Dabei wollen Elternvertreter und Vereine für die Belange und Probleme von Frühgeborenen und ihren Familien sensibilisieren10.
Intensivmedizinische Behandlung.
Hierbei spielt sowohl die invasive als auch die nichtinvasive Atemunterstützung eine große Rolle: Vor allem die Gruppe der extremen Frühgeborenen (<28. SSW) bedarf in der Regel einer intensivmedizinischen Behandlung; rund 80 % dieser Frühgeborenen werden in hochentwickelten Ländern invasiv mechanisch beatmet.11 Auch wenn durch neue Therapieansätze und -strategien versucht wird, die invasive mechanische Beatmung zu vermeiden12 bzw. deren angewendeten Zeitraum zu verkürzen und die nichtinvasive Beatmung von Frühgeborenen in den letzten Jahren stetig zunimmt13, bleibt die invasive Beatmungstherapie als solche in der Neonatologie aktuell weiterhin unverzichtbar und ist trotz des allgemeinen medizinischen Fortschrittes mit einer hoher Morbidität und Mortalität assoziiert und sowohl mit akuten als auch chronischen Lungenschädigungen (wie z. B. der Bronchopulmonalen Dysplasie, s. o.) vergesellschaftet14.
In Zeiten der fortschreitenden Digitalisierung und Automatisierung, nicht nur in der Medizin (Stichwort: autonomes Fahren und Assistenzsysteme), besteht deshalb gerade in diesem vulnerablen Bereich das Bestreben, die Therapie weiter zu optimieren, an die Bedürfnisse der jeweiligen Patienten anzupassen und aufgrund der zunehmenden Personal und Zeitknappheit auch der Wunsch nach zunehmender Automatisierung, nicht zuletzt im Bereich der Beatmung.
CLAC®-Atemunterstützung.
Für eine Automatisierung in der Beatmungsstrategie von Frühgeborenen gibt es bereits Ansätze: Die meisten Frühchen, die eine Atemunterstützung benötigen, brauchen dabei auch oft zusätzlichen Sauerstoff und erleben damit häufig intermittierende sowohl hypoxämische als auch hyperoxämische Episoden bzw. sind einem höheren Risiko dafür ausgesetzt15. Hypoxämische Episoden und die Exposition gegenüber inadäquat hohen Sauerstoffkonzentrationen erhöhen bekanntermaßen das Auftreten für Lungen und Augenschädigung16, 17 und sind dementsprechend mit einem erhöhten Risiko für die Frühgeborenen-Retinopathie (ROP)18, chronische Lungenerkrankungen (BPD), die nekrotisierende Enterokolitis (NEC), neurologische Entwicklungsstörungen (NDI) sowie einer erhöhten Mortalität verbunden19.
Die manuelle Anpassung der Sauerstoffeinstellungen ist zeitintensiv.
Der Sauerstoffbedarf und damit auch die FiO2-Einstellungen verändern sich bei diesen Kindern fast regelhaft über den Tagesverlauf, was wiederum viele manuelle Sauerstoffeinstellungen mit sich bringt. Diese werden bisher in der Regel durch das medizinische Personal auf der Kinderintensivstation durchgeführt. Je nach Patientengruppe können diese Anpassungen schwierig und zeitintensiv sein. In Zeiten von ausgeprägtem Personalmangel, vor allem in diesen spezialisierten Bereichen, kann dort bei bestimmten Kindern eine zunehmende Automatisierung der FiO2-Einstellungen ein Zugewinn für die Patientenversorgung sein. Mit diesem Ziel wurde CLAC® – Closed loop automatic oxygen control – entwickelt. Der CLAC®-Algorithmus passt den FiO2-Wert nach vorherig gewählten Einstellungen durch den Anwender an den jeweils herrschenden SpO2-Wert an und unterstützt den Anwender so bei den FiO2-Einstellungen.
Automatisierung bringt Vorteile für medizinisches Personal und Kinder.
Das Prinzip einer automatisierten FiO2-Steuerung nach SpO2-Wert ist nicht ganz neu, sondern wird schon seit einigen Jahren angewendet und zeigte sich bisher als effektiv und sicher20, 21, 22. Zum Beispiel zeigte Hallenberger et al. in ihrer Multicenter randomisiert kontrollierten Cross-over-Studie, dass CLAC® die SpO2-Therapie bei Frühgeborenen mit mechanischer Beatmung oder nCPAP signifikant verbessern kann: die CLAC®-Kinder waren mit ihren SpO2-Werten 10 % mehr im SpO2-Zielbereich als die Kinder, die eine rein manuelle Regelung erhielten. Ebenso kam es zu einer Reduzierung der Arbeitsbelastung des medizinischen Personals, da weniger SpO2-Adjustierungen notwendig waren als bei herkömmlicher Therapie23.
Zusammenfassend kann man also sagen, dass automatische Regelungen der inspiratorischen Sauerstofffraktion den Anteil der Zeit, in dem die Sauerstoffsättigung (SpO2) im Zielbereich liegt, erhöhen und so Anzahl und Dauer hypo- und hyperoxämischer Episoden und Arbeitsbelastung der Pflegekräfte reduzieren. Auswirkungen auf klinisch wichtige Endpunkte der Kinder (wie z. B. ROP, BPD, NEC, NDI und Mortalität) und die langfristige Entwicklung der Frühgeborenen wurde aber vor allem in Langzeitstudien noch nicht untersucht24, 25.
FiO₂-C-Studie.
Genau hier setzt die sogenannte FiO2-C-Studie (closed-loop automatic control of FiO2) an: Eine randomisiert kontrollierte Parallelgruppenstudie mit verblindeter Zielgrößenerhebung soll die Wirkung einer automatisch angepassten FiO2-Anwendung im Vergleich zur manuellen Kontrolle auf schwere Komplikationen im Zusammenhang mit Hypoxämie und Hyperoxämie untersuchen. Dabei sollen in 75 europäischen Zentren der höchsten Neonatalversorgungsstufen mehr als 2.300 Frühgeborene mit einem Reifealter zwischen 23+0 und 27+7 SSW eingeschlossen und untersucht werden.
Hier kommt unter anderem auch die Leoni plus mit CLAC® zum Einsatz. Ziel des Vorhabens ist es, Sicherheit und klinisch bedeutsame Auswirkung dieser Technik bei sehr unreifen Frühgeborenen in einer multizentrischen Studie zu prüfen.26 Das Besondere an der Studie: Hier werden die Kinder nicht nur in einem Alter von ca. 36. SSW, also in der Regel kurz vor der Entlassung nach Hause, auf die oben genannten Komplikationen hin untersucht, sondern es gibt eine zusätzliche Follow-up-Untersuchung im korrigierten Alter von 24 Monaten bezüglich Mortalität, Sprach- und kognitiver Entwicklungsverzögerung, motorischen Beeinträchtigungen sowie Seh- und Hörbehinderungen.
Die Studie läuft aktuell noch, die Ergebnisse werden aber mit Spannung erwartet: Es wird interessant sein zu sehen, ob sich durch die Teil-Automatisierung in der neonatologischen Beatmung nicht nur eine Arbeitsentlastung für das medizinische Personal herbeiführen lässt, sondern ob sich gerade bei den Langzeitergebnissen ein Vorteil für die Frühgeborenen durch ein besseres Outcome ergibt und die Kinder so langfristig durch die Reduzierung von Spätfolgen geschützt werden können.
CLAC®-Weiterentwicklung.
Auch bereits bestehende Systeme können noch weiter verbessert werden: Löwenstein Medical arbeitet stets daran, die Produkte der Neonatologie auf dem neuesten Stand zu halten, um sowohl eine höchstmögliche Patientensicherheit zu gewährleisten als auch einen hohen Anwenderkomfort zu bieten. Deshalb wird das CLAC®System stetig weiterentwickelt und aktuell zum Beispiel in Zusammenarbeit mit der Neonatologie des Universitätsklinikum Tübingen unter der Leitung von PD Dr. Axel Franz getestet und verbessert27: so soll eine Optimierung am System erfolgen, um eine weitere Reduzierung sowohl der hypoxämischen als auch der hyperoxämischen Perioden beim beatmeten Kind zu erreichen. Des Weiteren wird eine Reduktion des Alarmings angestrebt, um nicht nur den Komfort für die Anwender zu verbessern, sondern ebenso eine „AlarmMüdigkeit“, also eine Desensibilisierung gegenüber Alarmen, zu vermeiden.
Innovation durch Forschung.
Einen weiteren innovativen Ansatz bezüglich der Automatisierung in der neonatalen Beatmung hat das BMBF-geförderte Projekt NANNI®: Unter dem Fördermaßnahme-Call „Kleine Patienten, großer Bedarf – Medizintechnische Lösungen für eine kindgerechte Gesundheitsversorgung“ wurde hier das Vorhaben unterstützt, die Entwicklung eines neuartigen Beatmungssystems für Frühgeborene voranzubringen, das den Therapieaufwand verringern und die Diagnose-Qualität verbessern soll. Wie bereits ausführlich beschrieben, ist die invasive Beatmung von Frühgeborenen eine lebenswichtige Therapie, die aber leider auch Komplikationen mit sich bringen kann. In der Regel ist es eine zeit- und personalaufwendige Therapie, die häufig nachjustiert werden muss, da die medizinische Verfassung des Kindes in kurzer Zeit stark variieren kann. Hierbei muss man oft zeitkritisch handeln.
In diesem Projekt sollen Automatismen erweitert werden. Zudem soll durch weitere Sensorik die Beatmungsqualität optimiert werden und Schlussfolgerungen auf die physiologische Verfassung des Neugeborenen zulassen. Durch diese Verfahren sollen die Beatmungsqualität und das Outcome verbessert und die Komplikationen durch die Beatmung reduziert werden28.
Die erste Phase des Projektes ist abgeschlossen und es gibt bereits eine Veröffentlichung. Wir konnten die Autoren des Papers für einen kurzen Gastbeitrag gewinnen, den Sie im Folgenden lesen können. Dabei geht es schwerpunktmäßig um eine automatisierte CO2-Regelung29. Diese stellt sich noch einmal komplizierter dar als die automatisierte Sauerstoffregelung. Sie ist aber nicht minder sinnvoll, denn paCO2-Extreme sowie Fluktuationen des paCO2 innerhalb kurzer Zeit sind beim Frühgeborenen u. a. mit schweren intrakraniellen Blutungen assoziiert30, was eine schwerwiegende und gefürchtete Komplikation der Frühgeburtlichkeit darstellt und gravierende Folgeschäden für das Kind mit sich bringen kann.
Viel Potenzial, jedoch große Herausforderungen.
Auch wenn es hier schon einen ersten guten Ansatz zu mehr Automatisierung gibt, kommen andere Probleme hinzu, wie zum Beispiel die Messung der entsprechenden Parameter: Bisher ist weder eine kontinuierliche Messung des paCO2 noch eine kontinuierliche Hauptstrommessung des etCO2 regelhaft bei Frühgeborenen umsetzbar, da die aktuell verfügbaren Sensoren aufgrund des oftmals großen Totraums für diese spezielle Patientengruppe wenig geeignet sind. Es gilt also noch einige Hürden auf dem Weg zur Automatisierung der Beatmung zu nehmen.